Kommunistische Partei der ArbeiterInnen (Norwegen)

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Die wirkliche Utopie

von Erling Folkvord und Birger Thurn-Paulsen

Dieser Artikel war ursprünglich eine Einleitung der beiden Verfasser
auf dem "Rød Front"-Sommerlager 1996. Seitdem wurde der Inhalt auf der Grundlage
der dort und nachher stattgefundenen Diskussionen leicht überarbeitet und verändert.
[Erling Folkvord war bis 1997 Abgeordneter der Roten Wahlallianz (RV)
im norwegischen Parlament = Stortinget, d.Ü.-]

Røde Fane 4, 1996 Den virkelige utopien


Ein zentrales Problem des Kommunismus in der kapitalistischen Gesellschaft besteht darin, daß er als ein Traum angesehen wird. Die meisten Menschen halten seine Verwirklichung für unmöglich. Aber: Der Kommunismus ist etwas, das sowohl notwendig als auch möglich ist.

Eine Voraussetzung für die Behauptung, die kommunistische Gesellschaft sei verwirklichbar, besteht im Verstehen des dialektischen Materialismus - daß die Dinge sich verändern und, nicht zuletzt, daß das Volk den Verlauf der Geschichte bestimmen kann.

Freilich erfordert es aber noch etwas mehr als das Verstehen des dialektischen Materialismus. Wesentlicher Bestandteil der marxistischen Philosophie ist die Anwendung der Erkenntnisse über die Wirklichkeit und über die gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, um die reale Welt zu verändern. Nun ist die Aufgabe, die Welt zu verändern, für den einzelnen Menschen etwas zu groß. Darum organisieren sich Revolutionäre. Unsere Aufgabe besteht darin zu kämpfen, während wir gleichzeitig die Fähigkeit besitzen müssen, das Verständnis dafür auszuweiten, daß die kommunistische Gesellschaft faktisch möglich ist. Da bietet es sich an, zu diskutieren, wie diese Gesellschaft aussehen könnte; sowohl um die Vision am Leben zu erhalten als auch, um den Weg dorthin besser abstecken zu können.

Wir nehmen eine Einteilung des Kampfes hin zur klassenlosen Gesellschaft in vier historische Etappen vor:

Im folgenden wählen wir die Vorgehensweise einleitend mit Visionen zu beginnen, welcherart die Gesellschaft beschaffen sein müßte, die wir uns vorstellen, und diskutieren abschließend, welche revolutionären Utensilien wir benötigen, um dort anzukommen.
Der Kommunismus

In seiner Kritik des Gothaer Programms beschreibt Marx ihn wie folgt:

Daß dies wie ein Traum erscheinen kann, mag damit zusammenhängen, daß eine derartige Gesellschaft als annäherend problem- und konfliktfrei aufgefaßt wird. Da die Menschen aber keine Engel sind, sondern aus Fleisch und Blut bestehen, wird es nicht ganz so werden. Die Gegensätze in den Dingen haben nicht aufgehört zu existieren, weder in den Menschen noch in der Natur. Es ist der Klassenkrieg, der beendet wurde, sowie grundlegende Formen der Unterdrückung, wie die Unterdrückung des anderen Geschlechts und der Rassismus. Wir haben es mit etwas zu tun, was wir als Widersprüche im Volke auf einem relativ hohen Niveau bezeichnen können.

Wie können wir uns diese Gesellschaft vorstellen? Die wichtigsten Voraussetzungen, die Bedingungen müssen sich als ein Resultat des Kampfes im Sozialismus ergeben, und da nichts statisch ist, müssen sie im Kommunismus bewahrt und weiterentwickelt werden.

In ihrem Buch Søstre, Kamerater! sagt [die bekannte norweg. Linke, d.Ü.] Kjersti Ericsson, daß ein Modell, welches den Frauen dient, folgende Forderungen erfüllen muß:

Wir verstehen dies als Forderung, die im Sozialismus verwirklicht werden muß. Wir halten es für einen guten Ausgangspunkt, wenn gesellschaftliche Prämisse, die Frauen zufriedenstellen, als zufriedenstellend für alle angesehen werden. Nicht weil wir von besonderen, "urtümlichen Werten der Frauen" als Zielvorstellung reden, sondern weil die Frauen das unterdrückte Geschlecht sind und wir durch die Emanzipation die ganze Menschheit erreichen möchten.

Um dies zu bewerkstelligen und um die Widersprüche aufzuheben, von denen auch Marx spricht - so glauben wir -, müssen wir uns eine dezentralisierte Gesellschaft vorstellen, in der die Produktion industrieller Waren, Lebensmittel und anderer Notwendigkeiten Bestandteil eines Ganzen ist, zusammen mit der sozialen Fürsorge, der Bildung, der Kunst und Kultur und allerlei Spiel und Freizeit.

Gesellschaftsmäßig können wir uns vorstellen, daß die Strukturen des Stadtteils "Gamle Oslo" und der Küste Nord-Norwegens relativ - wir betonen relativ - ähnlich in der kommunistischen Gesellschaft aussehen könnten. Vom Menschenbild her können wir uns vorstellen, daß die Definition des ganzheitlichen Menschen darin besteht, daß wir alle "ArbeiterBauernIntellektuelleKünstler" sein sollten, die unser Leben auf einem hohen kollektiven und direkt demokratischen Niveau steuern.

Um den Traum mit der heutigen Wirklichkeit zu verbinden, läßt sich vieles von dem, wofür wir heute kämpfen, als strategische Forderung bezeichnen:

Diese Kämpfe finden heute statt, und wir können hiervon ausgehend eine Linie ziehen, in Richtung der Bedingungen, die uns den Zugang zur klassenlosen Gesellschaft ermöglichen. Indem wir die Kämpfe jetzt in einen solchen Zusammenhang stellen, wird der Sechsstundentag nicht nur zu einer Frage von sechs Stunden täglicher Arbeit, sondern zu der Frage, welche Gesellschaft wir haben wollen. Unsere Propaganda muß auf diese Perspektive und Ganzheitlichkeit eingestellt sein, um unseren Blick und den anderer, über jede einzelne Schlacht zur Abwehr von Verschlechterungen hinausgehend, erweitern zu können. Wenig oder nichts von diesem kann auf entscheidende Weise im Kapitalismus errungen werden. Diese Kämpfe müssen im Sozialismus entschieden werden, um für den Kommunismus disponiert zu sein. Darauf werden wir später noch näher eingehen. Zunächst möchten wir uns noch etwas mehr in einer gedachten kommunistischen Gesellschaft bewegen.

Wir nehmen unseren Ausgangspunkt in einem Buch mit dem Titel Frau am Abgrund der Zeit von Marge Piercy. Es ist ein Roman und keinesfalls ein philosophisches Werk über den Kommunismus, aber es finden sich dort einige Ideen über eine neue Gesellschaft, die ganz interessant sind:

Ungeachtet dessen glauben wir, daß es noch ein paar weitere Fragen gibt, deren Diskussion wichtig ist. Fragen, die etwas mit den gesellschaftlichen Bedingungen zu tun haben. Sie haben folglich auch eine Bedeutung für die Entwicklung und das Bestehen der kommunistischen Gesellschaft. Nachdem der Klassenkampf und die andere Unterdrückung aufgehoben worden sind, denken wir, daß es wichtig sein wird, wie die Arbeitsteilung organisiert wird, sowohl kollektiv als auch individuell. Wir denken darüber nach, welchen Grad der Selbstversorgung die Einheiten anstreben sollten und auch über die Arbeitsteilung zwischen den Einheiten und die Steuerung derselben sowie über das Verhältnis zwischen zentraler und lokaler Leitung. Bezogen auf den einzelnen Menschen stellt sich die Frage, was wir unter dem Begriff der ganzen Menschen verstehen wollen. Die absolute Sperre sollte sicherstellen, daß keine Gefahr mehr besteht, daß die «altväterische» Arbeitsteilung und Steuerungsformen sich erneut entfalten. Wo sollte die Sperre liegen?

Der Übergang vom Sozialismus zu einer derartigen Gesellschaft - oder wie wir sie uns im Augenblick vorstellen - verdient es wohl, näher betrachtet zu werden. Stalin und die Partei in der Sowjetunion erklärten im Verlaufe der dreißiger Jahre, daß die Sowjet-Gesellschaft den Kommunismus erreicht hätte. Fatal. Es bleibt verhängnisvoll, den Kommunismus auszurufen, lange bevor der Klassenkampf beendet ist - lange bevor die Arbeit und die Produktion das Niveau erreicht haben, wo "Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen", - bevor die Bedingungen herangereift sind, unter denen sich der ganze Mensch entfalten kann.

Im AKP-Programm heißt es: "Dieses Ziel (die klassenlose Gesellschaft) kann nur erreicht werden durch eine lange Reihe von Revolutionen und Umwälzungen, aus denen sich neue internationale Machtverhältnisse ergeben."

Einige Beispiele hierzu aus dem Programm:

Dies ist nach unserer Auffassung im schlimmsten Fall eine Vermischung der Verhältnisse im Sozialismus und im Kommunismus, im besten Fall enthält es wichtige Mängel bei der Beschreibung des Kommunismus. Ein Beispiel über die zwischenmenschlichen Verhältnisse: Aufhebung aller Machtstrukturen und Institutionen, die den Rassismus und die Frauenunterdrückung fördern.

Aus unserer Sicht müssen solche Machtstrukturen und Institutionen in der Phase des Übergangs der Gesellschaft zum Kommunismus bereits aufgehoben worden sein. Jeder Mensch muß bereits einen Status als selbständige, unabhängige «ökonomische Einheit» erreicht haben, also ein Niveau eines gleichen materiellen Status. Wir glauben, daß wir diesen Punkt erreicht haben müssen, ehe die Gesellschaft reif ist, sich in das klassenlose Stadium hineinzubewegen. Dies sind wichtige Fragen zum Diskutieren: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um die klassenlose Gesellschaft «auszurufen», - wie lang müssen die Kämpfe im Sozialismus geführt werden, was sollten wir hinter uns gebracht haben?

Eine Staatsmacht, bei der diejenigen die Macht innehaben, die arbeiten

Alle durch Klassen geteilte Gesellschaften besitzen einen Staatsapparat. Der Staat ist - ausnahmslos - ein Werkzeug in den Händen der herrschenden Klassen zur Umverteilung der Wertschöpfung, zur Aufrechterhaltung der notwendigen Kontrolle über die anderen und zur Beachtung einiger Gemeinschaftsaufgaben.

Das RV-Programm bekräftigt, daß das Ziel eine Gesellschaft ohne Klassen, Frauenunterdrückung und Rassismus ist, eine Gesellschaft, in der die Kluft zwischen Führern und Geführten erstattet ist durch den direkten Einfluß aller auf das eigene Leben und auf die Entwicklung der Gesellschaft.

Der sozialistische Staat muß daher derart beschaffen sein, daß er auf diese klassen- und staatslose kommunistische Gesellschaft hin orientiert. Der Staat wird in dieser Übergangsepoche zwischen Kapitalismus und Kommunismus überwiegend das Gegenteil vom heutigen Staatsapparat verkörpern. Aber wie sollen wir Personal und Organisation für einen solchen Staat erstellen? Und wie viele Staatsfunktionäre sind erforderlich? Hier einige Ansichten und Ideen:

Die ersten Aufgaben des Sozialismus in Norwegen

Das Eigentumsrecht der Kapitalistenklasse an großen Konzernen und wirtschaftlichen Unternehmungen, die oberhalb einer gewissen Größenordnung angesiedelt sind, muß ersetzt werden durch unterschiedliche Formen gesellschaftlichen Besitzes. Diese Formen werden notwendigerweise variieren, da sie mit der Macht der direkt vom Volk gewählten Organe kombiniert werden können müssen.

Hier begrenzen wir uns auf einige wenige der Fragestellungen:

Die Arbeitszeit soll nicht länger dazu dienen, den Kapitalisten den größtmöglichen Profit zu verschaffen, lieber sollte der Ausgangspunkt in folgenden Überlegungen genommen werden:

Der Sechsstundentag für alle ist notwendig, weil die Arbeiterklasse - und hier insbesondere die Frauen - die Gelegenheit bekommen soll, sich an der Leitung der Gesellschaft zu beteiligen. Wir müssen neue Normen oder Haltungen schaffen, die etwas darüber aussagen, für welche gesellschaftlichen Aufgaben jede einzelne Person das Recht und die Pflicht hat, in einem Teil ihrer Freizeit Sorge zu tragen. Wie z.B. die Beteiligung an dem neuen Typus der vom Volk gewählten Organe oder die Durchführung einer Kontrollmaßnahme mit der Leitung im eigenen Betrieb oder mit der Leitung des örtlichen Krankenhauses oder darüber, ob die Energiegesellschaft auch tatsächlich die ökologisch begründeten Grenzen einhält, die für ihre Stromerzeugung festgelegt worden sind. Es geht darum, daß jeder einzelne arbeitende Mensch die Rechte und Pflichten haben soll wie ein Mitglied der herrschenden Klasse. Die Verkürzung der täglichen Arbeitszeit ist eine der Voraussetzungen zur Erschaffung des neuen Menschen, der ein ganzheitlicher Mensch ist.
Selbstversorgung und wirtschaftliche Außenpolitik

Was für Beziehungen soll das sozialistische Norwegen mit den Ländern der Dritten Welt pflegen? Soll das sozialistische Norwegen den vom Imperialismus geschaffenen ungleichen Warentausch aufrechterhalten?

Dies sind weder unwichtige noch einfach zu beantwortende Fragen. Denn obgleich Norwegen aufgrund seinen sehr großen Mengen erneuerbarer Energie besonders günstig ausgestattet ist und diese Mengen überdies durch die Modernisierung von Turbinen und Übertragungsnetzen noch kräftig gesteigert werden können, wird der Übergang zu einer auf Gleichwertigkeit basierenden Beziehung mit der Umwelt große Veränderungen mit sich führen. Andererseits sollte es doch möglich sein, in der Bevölkerung Zustimmung dafür zu erhalten, daß wir nicht unsere eigenen Lebensbedingungen weiterhin auf der Grundlage der Fortsetzung der Ausplünderung anderer Leute gestalten wollen.

Je mehr umfassende antiimperialistische und antirassistische Arbeit wir im verbleibenden Rest der kapitalistischen Periode Norwegens betreiben, desto leichter wird es werden, für derartige wirtschaftliche Änderungen am Beginn der sozialistischen Periode Zustimmung zu gewinnen.

Die Bedeutung des Marktes und des Lohnes reduzieren

Im sozialistischen Norwegen müssen wir den Markt in eine Defensivposition zwingen. Eine der ersten Aufgaben des sozialistischen Staates wird es sein, dafür zu sorgen, daß die Produkte einiger Sektoren verteilt werden, ohne den Markt als Verteilungsmechanismus zu bemühen:

Das bedeutet, daß wir einen neuen Typus von Gerechtigkeitsgesetzgebung schaffen müssen. Und ein neues Verfahren zur Verteilung der Dienste, die knapp sind. Solcherart wie z.B. Herzoperationen und Organtransplantationen. Und wir müssen Methoden entwickeln, um diejenigen Bereiche des Gesundheitswesens zu stärken, die von der Mehrzahl der Menschen am meisten nachgefragt werden.

Ein Beispiel: Der sozialistische Staat ist nicht viel wert, wenn er nicht dafür sorgt, daß der Austausch abgenutzter Hüftgelenke Vorrang genießt gegenüber dem Fettabsaugen oder plastisch- chirurgischen Flicken persönlicher Frustrationen.

Der sozialistische Staat muß eine Politik verfolgen, die zwischen Dienstleistungen unterscheidet, deren absolutes Ziel die bestmöglichste Versorgung ist (wie z.B. bei Kindergärten und Ausbildung), und solchen, die in der Zielprojektion letztlich überflüssig gemacht werden sollen (wie z.B. die Versorgung von Verkehrsunfallgeschädigten und die Betreuung von Drogenmißbrauchern).

Wie steht es um die Wohnungsfrage? Sollen Wohnungen, die einen gewissen einfachen Standard nicht überschreiten dürfen, raus aus dem Markt, wie es in großem Umfang im kapitalistischen Norwegen bis zum Ende der sechziger Jahre der Fall war? Soll es im sozialistischen Staat ein Recht auf einen Wohnraumbesitz bis zu einer gewissen Größe geben? Und soll es ein effektives Verbot gegen das Geldverdienen mit dem Verkauf derartiger Wohnungen geben? Oder sollen wir damit beginnen, dem Markt auf diesem Gebiet seinen freien Lauf zu lassen, wie dies nach 1980 der Fall war?

Schule, Gesundheitswesen, Wohnung, Altersfürsorge, kollektiver Personenverkehr usw. werden nicht unentgeltlich, weil diese Sektoren aus dem Markt herausgenommen werden. Sowohl die Bauarbeiter, Pflegehelfer, Busfahrer als auch das Kindergartenpersonal sollen ja ihren Lohn erhalten. Wenn aber diese wichtigen Dienste ohne Rücksichtnahme auf die Kaufkraft [des einzelnen Kunden, d.Ü.] angeboten werden, bedeutet dies eine kräftige Anhebung des Lebensstandards für diejenigen, die heute am wenigsten haben, und es bedeutet einen kräftigen sozialen Ausgleich. Und das wiederum bedeutet, daß es nicht notwendig ist, ein so hohes Lohnniveau wie heute erreicht zu haben, da ja viele der heutigen Ausgabenposten zum Gemeinschaftsbudget der Gesellschaft hinübergewechselt sind.

Jeder Sektor, der sich ganz aus dem Markt entfernen läßt und überdies in der Lage ist, den Bedarf vollständig abzudecken, wird einen Vorgeschmack oder ein Beispiel für das Verteilungsprinzip liefern, das in vollem Umfang erst im Kommunismus eingeführt werden kann: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.

Was für eine Partei für die sozialistische Revolution?

Wir sprechen nicht von «Partei» im Sinne der gewöhnlichen Bedeutung, die dieses Wort im Norwegen der 1990er Jahre hat. Denn eine Partei ist heute eine staatsfinanzierte Unternehmung, die von einer Topschicht staatlich entlohnter Funktionäre mit Sitz in Oslo gesteuert wird, deren Gemeinsamkeit mit den anderen Parteien darin besteht, daß sie jedes vierte Jahr gegenseitig um die Unterstützung der Wählerschaft konkurrieren, ohne irgend etwas zu unternehmen, was der Ausbeutung und der herrschenden kapitalistischen Gesellschaftsordnung gefährlich werden könnte.

Wovon wir sprechen, ist eine Partei, die einen derartigen Grad von Organisierung und Zusammenschluß revolutionärer Handlung der Arbeiterklasse und ihrer Alliierten schaffen kann, daß es in einer hierfür geeigneten Situation möglich wird, der Bourgeoisie sowohl die Staatsmacht als auch das Privateigentum an Produktionsmitteln zu entwinden.

Außerdem soll diese Partei dazu beitragen, daß wir uns anschließend nach und nach unserem langfristigen Ziel, der kommunistischen Gesellschaft annäheren, anstatt den Kapitalismus wiedereinzuführen, wie dies u.a. in China und der Sowjetunion geschehen ist. Wir sollten aus der gemeinsamen Kampagne zur Einstellung der Aktivitäten von "Nein zur EU" (NTEU), die von allen Nein-Parteien mit Ausnahme der AKP und der RV unmittelbar nach der Volksabstimmung 1994 betrieben wurde, unsere Lehren ziehen. Sie hatten - aus gutem Grund - Angst vor einer solchen Massenorganisation, wo die etablierte, vom Staat entlohnte Funktionärsschicht nicht die Kontrolle ausübte. Heute ist NTEU - mit 23.000 zahlenden Mitgliedern im ersten Halbjahr 1996 - wahrscheinlich die größte Organisation, die auf individueller Beitragszahlung und nicht auf Beitragsabzug vom Lohn beruht.

Die norwegische Bevölkerung ist dem Anschein nach durchorganisiert. Da aber die stärksten Organisationen fast genauso funktionärslastig, undemokratisch und staatsfinanziert sind wie die Parteien, ist dies nicht besonders hilfreich. Die Gewerkschaften bilden hier insofern eine Ausnahme, als sie zwar funktionärslastig und undemokratisch sind, jedoch von den Mitgliedern finanziert werden. Es wird wichtig sein, neue Formen unabhängiger oder basisdemokratischer Massenorganisierung zu erschaffen. Der [gewerkschaftliche, d. Ü.] Klub im SAS-Hotel in Oslo ist ein gutes Beispiel dafür, was in dieser Hinsicht innerhalb eines funktionärslastigen Verbandes möglich ist.

Weder die heutige RV noch die heutige AKP weisen die Beschaffenheit, die innere Demokratie und das Vermögen zur baren, zusammenschließenden Aktion auf, wie sie diese Partei benötigt. Es ist nicht so, daß die Größe der einzige Mangel unserer zwei ausgezeichneten Parteien ist. Die heutige RV oder die heutige AKP multipliziert mit 10 oder 20 würde uns auch nicht so sehr weit voranbringen.

Wir können versuchen weiterzukommen, indem wir eine Frage aufgreifen, die viele beschäftigt und die in den späteren Jahren teilweise die Revolutionäre gespalten hat. Eine Behauptung besagt, daß die Theorie über die führende Rolle der kommunistischen Partei so weit alle Revolutionen zu neuen Oberklassendiktaturen gemacht hat und daß diese Theorie dazu führt, daß die kommunistische Partei sich selber aufhebt, um im Namen der Arbeiterklasse aufzutreten und anzuleiten. Wir wollen nicht bestreiten, daß die Arbeit revolutionärer Parteien sich in der Praxis in hohem Maße derart zugetragen hat. Wir wollen dagegen betonen, daß diese Behauptung fehlgeht, wenn sie in einen Zusammenhang mit kommunistischer Theorie und deren Anhang gesetzt wird. Sie ist vielmehr Ausdruck für ein bürgerliches und nicht minder sozialdemokratisches Gefolge. Das, was wir vor allen Dingen mit dem Lenken «im Namen von» verbinden, ist der typische sozialdemokratische gewählte Vertrauensmann. Die Sozialdemokratie hat dies wirklich außerordentlich weitgehend entwickelt: Leitende Funktionäre und Vertrauensleute sind dazu da, für dich etwas zu regeln. Sie fürchten Bewegungen und Aufruhr, die sie nicht selbst unter Kontrolle haben wie die Pest.

Siehe z.B. die Überwachung [Die Aufdeckung der Bespitzelung tausender Linker durch die sozialdemokratischen Regierungen/Geheimdienste im Nachkriegs-Norwegen war das beherrschende Thema der Medien im Frühsommer`96, mit einem parlamentarischen Nachspiel/«Lund-Kommission», d. Ü.], und siehe den bereits erwähnten Kampf innerhalb NTEU. In dem Maße, wie Revolutionäre durch das Auftreten «im Namen von» in die Falle gegangen sind oder gehen, handeln sie nach unserer Auffassung so, als ob wir nicht in ausreichender Weise Revolutionäre sind - als ob wir nicht gründlich genug mit den gewöhnlichen Denkweisen und Organisationsprinzipien gebrochen haben. Als ob wir nicht genug in die Tiefe gegangen sind, weder hinsichtlich Maos These über die Massenlinie, noch der Lenins über die Anhebung des Bewußtseins der Arbeiterklasse. Wie wir bereits erwähnten, ist die norwegische Gesellschaft durchorganisiert, und das Organisationsleben ist zu einem Großteil aufgekauft, in jedem Fall staatsfinanziert. Als Kommunisten leben wir in vielerlei Hinsicht ein Doppelleben. Während wir gleichzeitig für die Revolution arbeiten, schlüpfen wir jeden Tag rein und raus aus Rollen der gewöhnlichen Gesellschaft. Wir sind Leiter, Vertrauensleute, vom Volk Gewählte und vieles andere mehr. Manchmal tragen wir zu einem Sieg über das System bei, aber in großem Umfang müssen wir uns beteiligen am Entscheiden, Verhandeln und Herbeiführen von Kompromißlösungen, die vielleicht überdies auf Sicht schlecht für das Volk sind. Es ist schwer, dem zu entgehen, daß wir dies mit uns herumschleppen. Wir können uns dieses Typs von Bagage nicht nur so einfach entledigen. Es wäre auch dann noch vorhanden, wenn wir die übrigens völlig verkehrte Linie wählen sollten, eine reine «Protestbewegung» zu sein, und alle Wahlen, Positionen und Werbung boykottieren würden.

Wir können lieber etwas von dem aufgreifen, womit wir gestartet sind, nämlich dem dialektisch-materialistischen Erkenntnisprozeß. Unser ganzer Kampf zur Veränderung eines verwesenden und ungerechten Systems handelt vom Leben des Volkes, sich um das Volk zu kümmern. Sich wirklich kümmern handelt wiederum vom Verstehen, von der Gewinnung von Kenntnissen der Wirklichkeit - und dessen, was die eigentliche Stärke unserer Ideologie ausmacht -, daß die in der Wirklichkeit gewonnenen Kenntnisse in einem zweiten Schritt in der Wirklichkeit überprüft werden. Die Kenntnis muß entwickelt, weitergeführt und veredelt werden. Sie erfährt keinen Fortschritt, wenn sie nicht zusammengefaßt wird, und sie muß zu diesem Zweck in einem gewissen Sinne "von außen" zurückgeführt werden. Das alte Bild mit dem Brunnen paßt ganz gut: Von einem Brunnen aus kannst du nicht den ganzen Himmel sehen. Klassen und Individuen haben überwiegend ihren jeweils eigenen Brunnen.

Revolutionäre, die das Polieren der Ideologie der Wirklichkeit überordnen, werden absolut Fremde sein, wenn sie sich raus in den Klassenkampf bewegen. Diejenigen, die den täglichen Klassenkampf der Theorie überordnen, werden in einer Sackgasse enden, wo sie im Kreis herumlaufen. Beide Extreme überspringen ein entscheidendes Glied des Prozesses.

Die von uns angeführten Beispiele, der Kampf gegen die EU, der Kampf innerhalb von NTEU und die Erfahrungen des SAS-Klubs bergen viele Lehren in sich. Über das Analysieren, über das Zugegensein unter der Bevölkerung und über das Arbeiten gegen und quer zum System. Wie wir hier und jetzt Denken und Handeln, kann verbunden werden mit dem Verhältnis zwischen der Partei und dem Staatsapparat in der sozialistischen Epoche. Obgleich unsere Programme festlegen, daß der Staatsapparat und die Partei getrennt sein sollen, finden sich hier viele schwierige Fragen. Nicht zu den leichtesten zählen diejenigen, die sich damit befassen, als Revolutionär an der [Staats-, d.Ü.] Spitze zu stehen und gleichzeitig ein direkter Bestandteil des Aufruhrs der Bevölkerung und der Demokratie zu sein.

Wenn wir so denken und handeln wollen, müssen wir auch so organisiert sein, daß wir zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Es gibt keine Patentlösung dafür, wie eine revolutionäre Organisation zu jeder Zeit organisiert sein sollte. Wir müssen uns dort plazieren, wo die Kämpfe stattfinden, und wir müssen den Ausgangspunkt in einer Gesellschaftsentwicklung nehmen, die zur Zeit sehr schnell und umfassend abläuft. Nimm die Stadt Oslo als Beispiel. Sie hat innerhalb der letzten Jahre große Veränderungen durchlaufen. Sie hat jetzt eine Stadtregierung und einen Stadtteilausschuß. Die Stadtteile haben viele Aufgaben erhalten, die Kommunalwahlen in Oslo sind im Begriff zu direkten Wahlen zum Stadtteilausschuß zu werden, und die kommunalen Gewerkschaften sind im Begriff, Stadtteilgewerkschaften zu werden. Diese Organisationsstruktur wird als dezentralisiert und demokratisch dargestellt. In Wirklichkeit ist sie außerordentlich zenralisiert, aber es ist nicht so leicht, sich dessen gewahr zu werden.

Gleichzeitig gibt es eine stürmische technologische Entwicklung mit ähnlichen Merkmalen. Dies bedeutet u.a., daß Produktion und Handel formell dezentralisiert werden, während die Zentren der Macht in einen Nebel gehüllt werden. Es wird privatisiert und zergliedert. Eine mögliche Entwicklung besteht also darin, daß die Stadtteile in den größeren Städten sich zu den Orten entwickeln, wo die Bevölkerung lebt, arbeitet und organisiert ist. Was bedeutet dies für die kommunistische Organisierung? Ein anderes Beispiel, das diese Problematik unterstreicht: Der Metallarbeiterstreik vom letzten Frühjahr hatte einen völlig anderen Charakter als jene, als zuvor 1500 Leute einen größeren Betrieb lahmlegten. Dieser Streik verlief zunächst völlig normal und wurde plötzlich in dem Augenblick gefährlich und für die Medien interessant, als BMW in Deutschland bedroht war, da sie nicht alle für die Produktion notwendigen Teile erhielten - Teile, die sie aufgrund des Streiks in Norwegen nicht erhalten konnten. Die deutschen Arbeiter erkannten, was auf dem Spiel stand und verhielten sich in glänzender Weise solidarisch. Diese Zergliederung und Dezentralisierung der Produktion stellt neue Anforderungen an die Organisierung, an ein neues Niveau solidarischen Handelns und nicht zuletzt an die Entwicklung von Kämpfen, die in einer dezentralisierten Zone stattfinden, sich jedoch gegen die tatsächliche Macht richten müssen. Das ist nicht so einfach, wenn die tatsächliche Macht so geschickt darin geworden ist, sich zu tarnen. Die Offensive der Bourgeoisie hat es mit sich gebracht, daß es weitgehend gelungen ist, die Bevölkerung dazu zu bringen, sich um das Wasser in dem einzelnen Brunnen zu streiten, und noch schlimmer - die Bevölkerung zu dem Glauben zu bringen, daß es dort sei, wo die Schlacht stattfindet.

Was auch ein Problem darstellt, ist der Vorgang, daß die revolutionäre Bewegung vieles mit derselben Tendenz entwickelt hat. Wir haben uns eine relativ zergliederte und privatisierte Organisation geschaffen. Viele erbringen einen vorzüglichen Einsatz auf ihrem jeweiligen Gebiet, aber wir sind in geringerem Ausmaß dazu in der Lage, dies gemeinsam zu vollbringen. Das Teil besitzt eine Tendenz, sich dem Ganzen überzuordnen.

Es wird eine Herausforderung, sowohl unter uns selber als auch dort, wo wir mit anderen Leuten arbeiten, es zu erreichen, den Blick über die Kante des Brunnens zu erheben.

Einen guten Ort, um mit diesem Job zu beginnen, und um zu verstehen, daß der Gedanke, die Handlung und die Leitung eine Bedeutung besitzen, sowohl für uns selber als auch für die uns umgebende Bevölkerung, bilden die Grundorganisationen der Bewegung. Eine Organisation, die vorrangig aus vielen tüchtigen Kadern mit wichtigem Auftrag besteht, kann es nicht schaffen, auf die Geschichte einzuwirken, kann es nicht schaffen, mit geballter Kraft zuzuschlagen und ins Auge der Macht zu treffen.

Können wir eine Partei entwickeln, die es schafft, eine denkende und handelnde Einheit zu sein, die imstande ist, die Theorien und Erkenntnisse nach draußen mitzunehmen, und wirklich in der Bevölkerung zugegen zu sein, Wissen vermittelnd und selbst lernend, die Leute in die «Schule» der Partei aufzunehmen und dies alles immer wieder aufs neue auszuprobieren? Eine Partei, die das Verständnis des Erkenntnisprozesses mit dem Verständnis der Massenlinie vereint?


Übersetzung ins Deutsche: Per Losch